Allianz Rückzieher – Aufatmen in Vaihingen und Gemeinderat?

Wenige Monate nach Rechtsgültigkeit des Bebauungsplans für das Allianz Bauvorhaben in einer Vaihinger Kaltluftschneise teilt die Allianz Oberbürger- und Baubürgermeister mit, dass sie nun doch nicht Platz für 4.500 Beschäftigte in Vaihingen brauche. 2.000 Arbeitsplätze und 2 große Gebäude weniger seien ausreichend. Damit trat ein, worauf die Einwohner-Initiative VÖS und die Bezirksbeirät*innen und Stadträt*innen der FrAKTION von Anfang an hingewiesen hatten: Der Allianz geht es bei dem ihr 37 Mio. Planungsgewinn verschaffenden umweltzerstörenden Bebauungsplan weniger um die eigenen Arbeitsplätze als um ein lukratives Immobiliengeschäft. [Stadt und Gemeinderat lassen sich vom Allianz-Konzern erpressen – Ein Armutszeugnis und Anmerkung (1)]
Jetzt aber: Aufatmen bei den Stadträt*innen, die bei ihrer Bebauungsplan-Entscheidung alle Klima-, Umwelt und Verkehrsbedenken dem Ziel, die Allianz und ihre 4.500 Arbeitsplätze in Stuttgart zu halten, untergeordnet hatten. [Anmerkung (2)]
Aufatmen vor allem auch bei der Vaihinger Bevölkerung und dem Bezirksbeirat, der die Pläne wegen ihrer „erheblich negativen Auswirkungen auf Mensch, Natur und Klima“ (Umweltamt) und der zu erwartenden Verkehrsbelastung immer abgelehnt hat. Es kommt also doch nicht ganz so schlimm, wie befürchtet? 2.000 Beschäftigte weniger, die die Straßen verstopfen. Und durch die nicht benötigten zwei Gebäude können nun wenigstens die Mindestanforderungen des Umweltamtes für den Erhalt eines klimarelevanten Grünbereichs erfüllt werden.
So hätte es kommen können. Aber leider weit gefehlt.
Die im Dezember dem OB von der Allianz mitgeteilte Teilreduzierung ihres Bedarfs wurde erst einmal geheim gehalten. Weder Gemeinderat, Bezirksbeirat und schon gar nicht die Öffentlichkeit erfahren davon
Stattdessen vermittelte die Abteilung Wirtschaftsförderung die Allianz an die landeseigene LBBW-Immobilien, um mit dieser über einen Ankauf der von der Allianz nicht benötigten Fläche und nicht benötigten Gebäude für ein Forschungszentrum K.I. verhandeln zu können.
Anfang Februar, mal wieder im Schnellverfahren, holt sich die Stadt Stuttgart dann die Zustimmung ihres Gemeinderats für die Bewerbung für einen „Innovationspark Künstliche Intelligenz“. Nur wenige Tage haben die Stadträt*innen Zeit, sich mit dem millionenschweren Vorhaben zu befassen, ehe sie am 4.2. auf einer eilends einberufenen Sondersitzung entscheiden sollen. Und natürlich stimmen von Schwarz bis Grün alle zu. Nur zwei Mitglieder der FrAKTION stimmten dagegen, 4 Stadträt*innen enthielten sich. Über einen möglichen Standort für das Forschungszentrum wird aber auch da nicht gesprochen.

Erst Mitte Februar erfahren die Stadträt*innen durch eine Pressemitteilung des neuen Oberbürgermeisters, der „Innovationspark“ soll auf dem Allianz Gelände in Vaihingen angesiedelt werden und die landeseigene LBBW-Immobilien soll das Gelände für den durch den Bebauungsplan vervielfachten Grundstückswert von der Allianz kaufen. Die Allianz käme dadurch in die komfortable Lage, innerhalb von einem Jahr über 10 Millionen Euro Planungsgewinn aus öffentlichen Mitteln zu realisieren.

Naheliegend wäre es spätestens jetzt gewesen, dass Bezirksbeirat und Gemeinderat im Sinne ihres Auftrags zum Wohle der Stadt und ihrer Einwohner*innen zu agieren, den Rückzug der Allianz zu begrüßen und ihre – wegen der Arbeitsplätze – getroffene Entscheidung zum Schaden von Mensch, Natur und Klima wenigstes ein Stück weit zu korrigieren, indem sie die Allianz auffordern, den nicht benötigten Teil des Geländes nicht höchst gewinnbringend zu veräußern, sondern mindestens den vom Umweltamt geforderten Bereich für die Kaltluftströme freizulassen und die Verkehrsbelastung zu begrenzen. Oder gleich auf Grund der neuen Gegebenheiten, den Bebauungsplan nach ökologischen und klimatischen Kriterien anzupassen, wie es die FrAKTION im Gemeinderat fordert:

Allianz: Sündenfall Frischluftschneise jetzt korrigieren!
„Wir nehmen mit Überraschung zur Kenntnis, dass die Allianz jetzt anstelle von fünf Hektar Fläche nur noch drei Hektar braucht und plötzlich (?) auf zwei geplante freistehende Gebäude verzichten kann (…)
„Der Streit um den Bebauungsplan für die Allianz wurde seinerzeit anhand von einer Abwägung zwischen wirtschaftlichen und ökologischen Kriterien geführt“, betont Fraktionssprecher Hannes Rockenbauch. „Auf der wirtschaftlichen Seite war das Thema Arbeitsplätze und die damit verbundenen Gewerbesteuereinnahmen das Hauptargument, was sich bei der Mehrheit des Gemeinderats durchgesetzt hat“, so Rockenbauch weiter. „Jetzt stellt sich heraus, dass diese ganzen wirtschaftlichen Argumente auch auf drei statt bisher fünf Hektar realisiert werden können – damit eröffnet sich die Chance, den ökologischen Sündenfall Frischluftschneise zu reparieren“. „Ratsmehrheit und Verwaltungsspitze haben sich bei der Entscheidung über den Bebauungsplan klar gegen das Amt für Umweltschutz gestellt – diese Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Klima und der Umwelt kann jetzt geheilt werden. Ganz konkret fordern wir, den Bebauungsplan nach konsequent ökologischen Kriterien zu ändern. Die Frischluftschneise muss mindestens 50 Meter breit sein – daran hat sich nichts geändert.

In der Auseinandersetzung um den Bebauungsplan hat die Allianz seinerzeit um jeden Quadratzentimeter gekämpft. Es ist fraglich, ob sich allein durch die Corona-Pandemie der Bedarf innerhalb weniger Monate grundlegend geändert hat, oder der Bedarf in der Vergangenheit bewusst zu üppig angesetzt wurde. (…) Im Fall von Allianz wurden Flächen zur Bebauung freigegeben, die grundsätzlich tabu sein müssen. Der Fall Allianz zeigt auch, wie schnell sich die Dinge in der Geschäftswelt ändern können. Bedarfe von heute bestehen schon morgen nicht mehr.
Zwischenzeitlich ist aber durch den Bebauungsplan ein Planungsgewinn entstanden, der in privaten Händen verbleibt. Das wollen wir grundsätzlich verhindern – deshalb sollte die Stadt im Besitz solcher Grundstücke sein“, meint Hannes Rockenbauch.
„Nicht zuletzt hat der Bezirksbeirat Vaihingen mehrfach gegen das Projekt
votiert – es wurde aber gegen alle Widerstände durchgeboxt. Jetzt bietet sich die Chance, einen Teil des Schadens für Umwelt und Klima zu reparieren, in dem wir die Frischluftschneise deutlich verbreitern. Gemeinderat und Verwaltung sind jetzt gefordert“.

Erste Reaktionen von Stadträt*innen und Bezirksbeirät*innen lassen allerdings von einer Einsicht, die Kehrtwende der Allianz nun für eine Korrektur der Umwelt- und Klimaschäden, sowie einer Eindämmung weiterer Verkehrszunahme nutzen zu können, nichts erkennen. Ohne viel nachzudenken sehen sie plötzlich in der Ansiedlung des „Innovationsparks“ auf dem Allianz-Gelände „eine Chance für Vaihingen“. Als ob die großen Gebäude in einem bisherigen Grünbereich und einer Kaltluftschneise weniger klima- und umweltschädlich wären, wenn sie für ein KI-Zentrum genutzt werden. Als ob 2.000 Beschäftigte einer solchen Forschungsfabrik weniger Verkehr erzeugen als ebenso viele eines Versicherungs- und Immobilienkonzerns.

Anmerkungen:

(1)

  1. Stellungnahme SÖS-Linke-PluS (jetzt Die FrAKTION) im Bezirksbeirat Vaihingen zum Auslegungsbeschluss Allianz Vorhaben:

(…)der einzig tatsächliche Grund für die Planungsänderung darf wohl nicht genannt werden: Der Allianz-Konzern will die Bebauungsplan-Änderung und er will damit einen Planungsgewinn von 37 Mio Euro mitnehmen. Darum geht es im Grunde. Nicht darum, dass die Allianz Stuttgart neue, modernere Büros braucht. Die hätten auch im bestehenden Gewerbegebiet entstehen können. Der Allianz-Konzern hat das Angebot, die ehemaligen KNV-Flächen, auf denen jetzt Daimler bauen lässt, zu kaufen abgelehnt. Und sie hat bei der Ausschreibung des Architekten-Wettbewerbs darauf bestanden, dass die Gebäudekomplexe “autonome Einheiten” werden, die weitervermietet werden können. Schon jetzt wurde das Gelände an die Tochter Allianz-Lebensversicherung verkauft. Die wird es mit hohem Gewicht weiterverkaufen an einen Investor und Bauträger (vielleicht an die Allianz-Immobilien) und dann, wenn überhaupt, dort in einem Teil zur Miete einziehen. Der ganze Aufwand, den die Stadt Stuttgart dafür betreibt, ist nichts anderes als ein Millionengeschenk an einen Großkonzern zum Schaden der Menschen in Vaihingen, der Umwelt und des Klimas (…)

(2)

  1. Auszug aus dem Protokoll der Gemeinderatssitzung zum Punkt Satzungsbeschluss Bebauungsplan Heßbrühlstraße (Allianz Vorhaben):

Die Pläne zur geplanten Ansiedlung der Allianz in Stuttgart-Vaihingen werden im Folgenden von StR Rockenbauch (Die FrAKTION LINKE SÖS PIRATEN Tierschutzpartei) scharf kritisiert, der erklärt, dass seine Fraktion dem Vorhaben nicht zustimmen werde. Die FrAKTION lehne eine Bebauung von Flächen mit wichtigen Grün- und Klimafunktionen wie Frischluftschneisen sowie die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, was nachteilige Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung hätte, ab, so der Stadtrat weiter. StR Rockenbauch betont, dass es beim Klima seiner Ansicht nach „keine Kompromisse“ geben dürfe, in diesem Fall aber die „ökonomische Macht die ökologische Vernunft gebrochen hätte“.

Seine Ablehnung einer Ansiedlung der Allianz begründet der Stadtrat ferner auch mit der bereits jetzt schon sehr hohen Verkehrsbelastung für den Stadtbezirk Vaihingen, die durch den neuen Gewerbestandort nur noch weiter zunehmen werde. Vor dem gleichen Hintergrund lehnt der Stadtrat auch einen Ausbau der Nord-Süd-Straße ab.
Im Weiteren begrüßt StRin Fischer (GRÜNE) die vorliegende Entwurfsplanung für die Neubebauung der Allianz Deutschland AG auf dem Grundstück an der Heßbrühlstraße, betont allerdings auch, dass man sich anfangs von dem Versicherungskonzern ein größeres Engagement für eine klimaverträgliche Bauentwicklung gewünscht hätte. Dennoch sei es erfreulicherweise gelungen, die nachteiligen Auswirkungen der künftigen Bebauung auf das Schutzgut Klima und Luft durch Festsetzungen im Bebauungsplan und Regelungen im städtebaulichen Vertrag zu minimieren.

In seiner Wortmeldung erklärt StR Körner (SPD), dass die SPD-Gemeinderatsfraktion die beiden Vorlagen unterstützen werde. Der geplante Standort sei aufgrund der aktuellen Nutzung als Sportplatz und als Kaltluftschneise sowie der aktuell schon hohen Verkehrsbelastung in Vaihingen zwar nicht optimal, so der Stadtrat. Allerdings konnte im Rahmen der Prüfung weiterer möglicher Stadtorte keine überzeugende Alternative gefunden werden.

Durch den Verbleib des Traditionsunternehmens Allianz in Stuttgart könnten rund 4.500 Arbeitsplätze erhalten bzw. neu geschaffen werden, was für die Bürgerinnen und Bürger in der Stadt, aber auch in der Region von großer Bedeutung sei. Zudem sei im Hinblick auf die Gewerbesteuer eine Verteilung auf verschiedene Branchen im Sinne einer angemessenen Risikoverteilung erstrebenswert.