Mist

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Kleinbürger regen sich ja gerne auf – ist ja auch gut für den Kreislauf. Am liebsten über Nachbarn, die Zeitung, den Fußballverein oder Politik. Nachdem ich mich wochenlang über meinen Fußballverein aufgeregt habe, verlebte ich gestern einen aufregungsfreien Pfingstsonntag. Aber heute ist mir ein Ausschnitt aus der Filderzeitung vom 20.04.2015 in den Blick geraten, den mir ein wohlmeinender Mit-Kleinbürger seinerzeit in die Hand gedrückt hatte. Nur war mein beschränktes Aufregungs-vermögen da noch anderweitig beansprucht.
Jetzt aber! Olé, Olé!!! Also:

Schon als pickliger Jüngling mit wallendem Haupthaar wollte ich die Welt verändern. Näheres dazu fand ich in der Stuttgarter Zeitung, die damals noch überregional war und richtige Journalisten beschäftigte. Auch als Student und Jungmann hatte ich immer ein Abo.

Temps perdu.

Um die Pickel ist’s nicht schade, wohl aber ums Haupthaar und um die StZ. Die ist in all den Jahren zu einer mittelmäßigen Regionalzeitung verkommen. Endgültig „Schluss machen“ mit dieser meiner Jugendliebe konnte ich im Zuge der Auseinandersetzungen um Stuttgart 21. Da war ich bei vielen Ereignissen dabei, über die auch die StZ berichtete, nur hatten deren Artikel selten viel zu tun mit dem, was ich selbst erlebt und gesehen hatte. Und wenn schon die nachprüfbaren Artikel Mist sind, was ist dann wohl mit den anderen?

Zeitverschwendung.

Tageszeitungen haben es schwer im Internetzeitalter. Ihr Geschäftsmodell besteht vor allem in Kosten-einsparungen. So wird nicht mehr recherchiert, nicht mehr nachgedacht, dafür schludrig runter- und abgeschrieben. Journalisten werden schlecht bezahlt und gerne gefeuert. Wer überleben will, muss Zeilen liefern und darf nicht anecken. Sie tun mir zwar Leid, aber irgendwie ist ja doch jeder selbst für sich und seine Seele verantwortlich.
Ein solcher Journalist, wenn auch nur bei der Filderzeitung, ist Rüdiger Ott. Der hat neulich diese Glosse geschrieben. So ganz verstehe ich die nicht; wahrscheinlich, weil der Rüdi viel studiert hat und im Ausland war, und das kann beides abträglich für die sprachlichen Fähigkeiten sein, wie man weiß. Jedenfalls bin ich für Erklärungen dankbar (Rüdi, hilf!) und schreibe einfach mal, was ich mit meinem kahlen Kopf so verstehe.
Es sind nur Abschriften des Artikels verlinkt: womöglich sind die Verlagsjuristen ja besser als die Journalisten.

Im ersten Drittel erklärt Herr Ott, was eine satirische Glosse ist und dass jetzt eine ebensolche folgt. Außerdem erzählt er aus der taz.
Im zweiten Drittel erklärt er die Aufgaben des Bezirksbeirats und stellt dem einen Antrag von SÖS-Linke-Plus entgegen, der sich gegen TTIP & Co. wendet. Hier wird es für mich interessant, weil ich an diesem Antrag nicht ganz unschuldig bin. Inhalte und Begleitumstände von TTIP & Co. beunruhigen mich, und ich habe regelkonform meine Vertreter im Bezirksbeirat um Unterstützung gebeten, was diese prompt umgesetzt haben – vielen Dank!
Das letzte Drittel soll dann wohl Höhepunkt oder Pointe sein, keine Ahnung. Er fordert den Leser auf, zu entscheiden, ob Antrag und Antragsteller militärisch bekämpft oder nur in den Papierkorb befördert werden sollen. Aha.

Was mich aufregt, ist einmal diese Pseudo-Parallele, diese BWL-induzierte Überzeugung, dass Faschisten und Linke gleich schlecht fürs Wachstum sind. Ist die Vorstellung, die NATO greife ein und durch gegen die Rassisten von Tröglitz (Bedrohung des Bürgermeisters, Brandstiftung) ebenso wie gegen SÖS-Linke-Plus mit ihrem TTIP-Antrag satirisch-lustige Überspitzung? Was für ein Schenkelklopfer!
Zwei Dinge in einem Atemzug zu nennen und damit einen inhaltlichen Zusammenhang zu suggerieren, wo keiner ist – das ist eine rhetorische Figur, mehr Propaganda denn Kunstgriff. Zwar ist das nicht justiziabel. So könnte ich z.B. auch Rüdiger Ott und die Pegida-Hasspredigerin Oertel in einem Atemzug nennen, auch wenn sie nur den gleichen Lippenstift benutzen. Aber so etwas ist einfach nicht anständig. Ein Kriterium für dich, Rüdi?

Neben diesem moralischen Schwachsinn offenbart Herrn Otts lustige Glosse aber auch noch ein Politikverständnis, das in seiner Obrigkeitsstaatlichkeit wahrscheinlich nicht einmal mehr den von ihm hofierten Wirtschaftsparteien gefallen würde: Kleinbürger sollten sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und die Politik den zuständigen Parteivertretern überlassen. Jegliche Diskussion über Staats- und Parteienverdrossenheit scheint Herr Ott verschlafen zu haben. Wenn Europa scheitert, dann wird eben DIESE Verdrossenheit der Grund dafür sein. Und die Otts dieser Welt werden dann womöglich schreiben, man hätte das Projekt Europa breiter diskutieren müssen…

Herrn Ott wünsche ich baldigen Aufstieg in die Möhringer Redaktion. Wirklich.
Frisur und Einstellung scheinen dafür auszureichen, aber ich fürchte beinahe, dass sein verquaster Mist nicht einmal bei der StZ/StN goutiert wird.

Olé, Olé, VfB!

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