Die Landesregierung will in Baden-Württemberg mehrere Radschnellwege einrichten. Wir befürworten jede Maßnahme, die den Radverkehr sinnvoll fördert. Das gilt auch für solche Schnellwege, z.B. Heidelberg-Mannheim oder Stuttgart-Plochingen. Leider wird deren Realisierung erhebliche Vorarbeiten erfordern und mehrere Jahre dauern.
Der Landkreis Böblingen und das Verkehrsministerium haben jedoch ein Projekt voran getrieben, von dem behauptet wird, es könne die Schnellweg-Pläne schon jetzt fördern: Die mehrere Kilometer lange Pflasterstraße, die in den dreißiger Jahren zwischen den Kasernen Böblingen und Vaihingen angelegt wurde (‚Panzerstraße‘) soll mit Asphalt überzogen und zum Radschnellweg erklärt werden. Ein Bauwerk, wie man es in unserem Land nirgends mehr findet: mit hohem handwerklichem Können angelegt, nach 80 Jahren noch hervorragend erhalten,
ästhetisch beeindruckend und 2016 völlig zu Recht unter Denkmalschutz gestellt. Die Straße wird von Radfahrern hoch frequentiert (nach Zählungen über 700 pro Tag) und ist bei den Bürgen sehr beliebt: joggen, spazieren gehen, Kinderwagen schieben …
Sie ist jedoch denkbar ungeeignet um als Schrittmacherprojekt zu dienen. Während man bei den anderen Strecken vor großen Schwierigkeiten steht, gibt es hier keine Konflikte – nicht mit Anrainern und vor allem nicht mit dem Autoverkehr –, und es genügt, eine vorhandene Piste mit Asphalt zuzuschmieren: Schon ist der erste Schnellweg fertig! So will man sich mit einer Erfolgsmeldung bei den Medien in Szene setzen. Ein Paradefall von Etikettenschwindel!
Außerdem ist die Anbindung von Böblingen und Sindelfingen her völlig unzureichend, und für eine Weiterführung nach Stuttgart gibt es noch nicht einmal ein Konzept. Es entsteht also eine isolierte Radautobahn durch den Wald – wie eine Brücke, die nach beiden Seiten ins Leere führt!
Die Planer mussten inzwischen feststellen, dass viele Bürger zunehmend ihren Unmut über dieses Vorhaben zum Ausdruck bringen und haben darauf hin einzelne zu Gesprächen ins Landratsamt und ins Verkehrsministerium eingeladen. Dort hat man die Einwände schlicht ‚abgearbeitet‘, ohne sich irgendwie beeindrucken zu lassen. Gleichzeitig war es erstaunlich, mit welcher Offenheit das Hauptmotiv ausgesprochen wurde: Man will möglichst bald und öffentlichkeitswirksam irgendetwas vorzeigen können!
Dabei könnte sich dieses Projekt sogar negativ auswirken: Wenn die mangelnde Anbindung immer mehr Kritik hervorruft, wenn es zu Konflikten mit den anderen Nutzern kommt, wenn der hohe Unterhaltsaufwand spürbar wird. Neudeutsch: Für die Idee des Radverkehrs geradezu kontraproduktiv!
Die Landesregierung hat immer wieder betont (u.a. im Koalitionsvertrag), sie wolle die Bürger „früh, offen und umfassend informieren und in die Willensbildung mit einbeziehen.“ In diesem Fall gab es weder Information noch Bürgerbeteiligung. Selbst der Beschluss des Kreistags Böblingen (14.5.18) erfolgte unter problematischen Umständen: Nach einer mehrstündigen, ermüdenden Diskussion über andere Themen waren von 84 Stimmberechtigten nur 49 anwesend, und diese waren offensichtlich nicht ausreichend informiert. Kennzeichnend die Reaktion im Verkehrsministerium, als wir die fehlende Bürgerbeteiligung ansprachen; „Dazu waren wir nicht verpflichtet“! Also werden die Bürger nur einbezogen wenn es zwingend vorgeschrieben ist?
Denkmalschutz: Man sieht vor, ein Pflasterfenster von 80 Metern offen zu lassen, „damit der ursprüngliche Charakter erkennbar bleibt.“ Es ist ein Trauerspiel, dass sich das Landesdenkmalamt darauf eingelassen hat und damit dem Ruinieren dieses Baudenkmals zustimmt. Der Schwäbische Heimatbund und der Württembergische Geschichts- und Altertumsverein haben sich deutlich gegen eine Asphaltierung ausgesprochen.
Die Einwohnerinitiative „Vaihingen ökologisch sozial“ hat zu diesem Thema ein Flugblatt erstellt und verteilt.
Leider drängt die Zeit. Die Ausschreibungen sind bereits erfolgt, und im Herbst sollen die Bauarbeiten beginnen. Auch hier wird das Prinzip erkennbar: Möglichst schnell Fakten schaffen; dann bleibt den Betroffenen nichts anderes übrig als die Folgen hinzunehmen.
Wir haben Ministerpräsident Kretschmann in einem persönlichen Schreiben gebeten, sich dafür einzusetzen
- dass die Realisierung ausgesetzt wird bis eine angemessene Bürgerbeteiligung stattfinden konnte und nach beiden Seiten der Straße zumutbare Anbindungen hergestellt sind,
- dass der Denkmalschutz angemessen berücksichtigt wird,
- dass diese Mittel (über 3 Mio. €) für sinnvolle Verbesserungen des Radverkehrs verwendet werden.