Die Friedenstaube
Vor ein paar Wochen bin ich mit dem Auto mitgefahren. Ich war 30 Jahre lang aktiver Autofahrer, aber jetzt bin ich clean. Und wenn ich mal mit dem Rauchen aufhöre, werde ich ebenso militanter Nichtraucher sein, wie ich jetzt militanter Radfahrer bin. Wir wollten nach Böblingen in die Therme, und das ist ja wirklich eine akzeptable Radstrecke, so über die Panzerstraße, auch bei Regen. Aber ich habe mich überreden lassen. Das war dumm und falsch und unnötig.
Bevor es links zur IBM und zur alten B14, rechts auf die Autobahn und geradeaus zu den Patch Barracks geht, unterquert man die Autobahn. Genau in dieser hässlichen Unterführung tauchte vor dem Auto aus dem Nichts eine Taube auf und setzte sich auf die Straße. Meine Begleiterin hatte keine Chance. Ein kleiner Rumpler – vorbei.
Wir hatten beide noch nie ein Tier getötet, das größer als ein Insekt ist. Sie fuhr an den Straßenrand und weinte ein wenig. Ich hieb mit der Faust ans Seitenfenster, bis es weh tat – das ist wohl die männliche Art zu trauern. Vielleicht auch die kleinbürgerliche.
Ich war froh, als ich erfuhr, dass der diesjährige Ostermarsch fast genau dort stattfinden sollte – vor den Patch Barracks. Auch wenn Dostojewskijs „Schuld und Sühne“ sich korrekterweise mit „Verbrechen und Strafe“ übersetzt, wie ich von Conny gelernt habe, hat es mich doch erleichtert, für diesen Ostermarsch Werbung zu machen und Flyer zu verteilen. Und als es dann am Samstagmorgen regnerisch und kalt war, zog ich los und war zufrieden, vielleicht nur einer von zwanzig zu sein.
Es waren dann doch einige mehr, vielleicht 300 Leute. Und viele, viele Vaihinger! Wer sich auf dem Tagesschau-Video entdeckt, bekommt ein Osterei, versprochen!
Klar, die Musik und die Redebeiträge sind bekannt und vorhersehbar. Aber trotzdem, es hilft, sich klar zu machen, dass durch diesen Drohnenmist und diese Kriegsgeilheit fast täglich Menschen sterben. MENSCHEN, nicht Tauben! Und die meisten von ihnen sind unschuldig, wie Tauben, wie Flugpassagiere. Wer will das Leben wägen, wer darf das? Wer tötet, ist verdammt!
Sehr schön war dann noch der Demozug vom EUCOM zum Vaihinger Bahnhof. Übrigens habe ich gelernt, dass man am besten immer alle Namen sagt: EUCOM, Patch Barracks, Kurmärker-Kaserne und das Auge Saurons. Jedenfalls war es ein Hochgenuss, am hektischen Ostersamstag über die Vaihinger Hauptstraße zu laufen, wo ich sonst immer nur von den Autos gejagt werde mit meinem Rädle, halt wie ein Hase. Die Autofahrer waren wohl zu verblüfft, um zu pöbeln, die Anwohner winkten freundlich. Wir winkten zurück und ließen uns auch nicht davon irritieren, dass am anderen Straßenrand auch jemand zurückwinkte (der vielleicht doch eher gemeint war als wir…).
Am Bahnhof bekam ich dann noch von einer netten Frau aus Heslach 64 Regeln für ein gutes Leben geschenkt, eingerollt und mit Bändchen versehen. Wow!
Danach bin ich zur Fortsetzung des Ostermarschs in die Stadt gefahren, natürlich mit dem Rad. Was immer vorher noch warm oder trocken war – unten war ALLES kalt und nass. Ganz bis zum Schluss habe ich dann auch nicht durchgehalten. Aber als ich dann später mit einem Bier vor der Glotze saß und Sportschau guckte (Kleinbürger!), dachte ich an Dostojewskij, Tauben, Drohnen und meine Vaihinger und spürte wenigstens innerlich ein bisschen Frieden.